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Eine immersive audiovisuelle Skulptur
B L I N D F O L D E D 360°
BLINDFOLDED ist ein reflexives Stück über Medienrezeption und Selbst-Wahrnehmung und dabei eine „sich selbst reflektierende Allegorie“ der Medienrezeption. Es stellt Fragen „Wie nehmen wir Inhalte in der sogenannten
virtuellen Maschine wahr?“, „Wie korreliert diese Wahrnehmung mit unserem Körpergefühl und wo trennt sie
sich ab?“. Die Antwort ist ein Zusammenspiel aus realem Gefühl und virtuellem Impuls – was immer noch eine
reale Wahrnehmung ist.
BLINDFOLDED ist eine audiovisuelle Expedition: Das Ziel dieser Reise ist kein konkreter Ort, sondern viel mehr das Entstehen eines bestimmten Gefühls, die Entwicklung und das Bewusstwerden eines virtuellen ICHs – Die Erfahrung der Avatarisierung der eigenen Person. Die Darstellung möglicher Welten und möglicher Verkörperungen des eigenen Ichs stehen im Fokus. Der Prozess des Wahrnehmens wird als konstruktiver Akt angesehen und als solcher behandelt. So wird das Publikum im Stück „BLINDFOLDED“ einem Prozess der Wissenssammlung unterworfen. Das autopoietische Prinzip wird auf das Stück übertragen. Ein System, das zirkulär die Komponenten produziert, aus denen es selbst besteht, das sich über die Herstellung seiner Bestandteile selbst herstellt und erhält. Ein Wesen existiert nicht einfach, sondern es entwickelt sich andauernd aus sich selbst heraus weiter.
Die Frage nach Gehirn und Geist, Bewusstsein und Unbewussten beschäftigt die Menschen schon seit der Antike.
Ergebnisse der Hirnforschung der letzten Jahrzehnte stellen das verbreitete Selbstverständnis des Menschen als ein von bewussten Mechanismen gesteuertes Wesen in Frage. Gerhard Roth prägte in den 80ern Jahren neurobiologischen Konstruktivismus, in dem das Gehirn und nicht das bewusste Ich, wie es subjektiv wahrgenommen wird, als Konstrukteur unserer Realität dargestellt wird. Unsere Weltsicht ist demnach keine Abbildung der Realität, sondern eine Konstruktion. Die unbewussten Prozesse im Gehirn bilden dabei die Grundlage für unser Denken und Handeln. Einem Grundgedanken des Konstruktivismus liegt inne, dass es keine vom Menschen unabhängige Wahrheit gibt. Es stellt sich die Frage nach Wirklichkeit. Was ist Wirklichkeit? Jede Sichtweise der Welt ist eher individuell und subjektiv konstruiert. Das Gehirn kreiert einen virtuellen Akteur (das Ich), der in der Alltagswirklichkeit agiert. Das, was wir als Wirklichkeit verstehen, ist ein Ausschnitt von etwas Großem. Das Stück „BLINDFOLDED“ fasst diesen Gedanken auf, und nähert sich dieser Vorstellung mit Hilfe von VR-Technik an.
Was passiert mit dem Konstrukt „Körper“ in diesem System? Wir sind fleischige Wesen, die Bedürfnis nach physischer Präsenz haben. Was passiert, wenn der physische Raum vom Virtuellen dominiert wird? Ebenso wie die virtuelle Umgebung unterliegt der Avatar keinen realphysikalischen Bedingungen und kann sich deshalb genau wie die Umgebung bis ins Unendliche verformen, Körperteile vervielfachen, auflösen oder sie abspalten. Die Veränderung der neuronalen Aktivität ist ausschließlich quantitativer Art.
Jede Wahrnehmung verursacht eine Entladung der Nervenzellen, die je nach Intensität des Reizes verschieden stark ausfällt. Das Gehirn empfängt keine qualitative Information über die Art der Erregung. Die Sinnesorgane übermitteln eine quantitative Veränderung. Die qualitativen Eigenschaften werden daraufhin im Gehirn konstruiert. Die Sinnesorgane sind spezifischen Arealen des Gehirns angeschlossen. Durch Versuche an Patienten mit geöffneter Schädeldecke wurde veranschaulicht, dass z.B. eine Stimulation im Sehzentrum eine optische Halluzination hervorruft. Das Stück „BLINDFOLDED“ versucht gezielt das Gehirn mit Informationen zu „befeuern“: auditiv und visuell.
Place Illusion, Illusion of Embodiement und Body Transfer Illusion sind die bekannten Themen der VRMedien. Man
findet sich audiovisuell an anderen Orten, nimmt eine andere Perspektive ein und kann sich sogar in andere Körper
hineinversetzt fühlen. Doch meist bricht sich die Illusion des Virtuellen an dem Punkt, dass das Körpergefühl nicht
dem entspricht, was man sieht und hört. In Extremfällen spricht man von der sogenannten VR-Sickness. Genau an dieser Bruchstelle setzt BLINDFOLDED an.
Die Wahrnehmung des eigenen Körpergefühls wirft den/die Zuschauer/in letztendlich auf sich selbst zurück. Denn
jede/r hat ein absolut individuelles Körpergefühl. Umso spannender ist die Selbstwahrnehmung in der kollektiven
VR-Erfahrung. Es gibt bereits viele Möglichkeiten kollektive VR-Erlebnisse zu erfahren, doch zielen die meist
filmischen oder spielerischen Inhalte nicht auf die Medienreflexion ab, sondern auf Unterhaltung.
BLINDFOLDED ist ein Kompositionsauftrag des Südwestrundfunks für Donaueschinger Musiktage 2020.
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